Geschrieben von Studienrat W. Klaus , 1948

Die Schule des Mittelalters, die Klosterschule, war in den Stürmen der Reformation zugrunde ge-gangen und in den meisten Fällen ‚gleichzeitig mit den Klöstern verschwunden. Wie Luther in sei-nem Sendbrief 1524 ausführt, war von der geistigen Höbe ihrer Blütezeit schon nichts mehr zu spü-ren gewesen. Es galt, an‘ die Stelle der alten eine neue lebenskräftige Schule zu setzen. Luther, der sich auch auf diesem Gebiete als der berufene Führer erwies, hieß das Sendschreiben „An die Rats-herren aller Städte deutschen Landes, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten wollen“ hin-ausgehen und fand in vielen Städten bereitwilliges Verständnis. Die Luther-Schule bleibt Gelehrten-schule. Die Unterrichtsfächer sind Lateinisch, Deutsch, Geschichte, Mathematik, Musik. Ein neuer Geist und neuer Wert kam in das Schulwesen hinein. Der allgemeine Schulzwang wurde geboren.

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In Schwerte wurde die Reformation im Jahre 1554 eingeführt. Professor Feldhügel, dessen For-schungen ich meinen Ausführungen weitgehend zugrunde lege, nimmt an, daß seit der Zeit auch in Schwerte eine solche Lateinschule bestanden hat. Die Frage, ob die Schule eine kirchliche oder städ-tische Einrichtung war, ist in dem von 1852—1854 dauernden Prozeß zwischen Kirchengemeinde und Magistrat vom Obertribunal in Berlin zugunsten der letzteren entschieden worden. Aus den Prozeßakten geht hervor, daß seit dem Jahre 1713 die Stelle eines dritten Pfarrers bei der größeren evangelischen (lutherischen) Gemeinde mit der Stelle eines Rektors bei der dortigen Schule vereinigt wurde, während vor dem Jahre beide Ämter nebeneinander bestanden. Bis zu der im Jahre 1849 ein-getretenen Vakanz wurde die Wahl des neuen Inhabers derselben bei stattfindender Erledigung von dem Presbyterium der größeren evangelischen Gemeinde und dem Magistrate der Stadt Schwerte, und solange die Gilden bestanden, auch von den Vorgängern der Gilden gemeinschaftlich vor-genommen. Das in dieser Art gebildete Wahlkollegium wurde ecclesia repraesentativa genannt.
Wo die erste Schule ihr Gebäude hatte, wissen wir nicht. Seit 1682 war sie mit der Elementarschule, der sogenannten Teutschen Schule, zusammen in dem damals „an der westlichen Kirchtreppe linker Hand auf dem Kirchhof“ erbauten Schulgebäude; im unteren Stock die Teutsche Schule, im oberen die Lateinische. Auch von dem Besuch der Anstalt liegen keine Zahlen vor; doch können wir an-nehmen, daß er bis zum Ausbruch des 30jährigen Krieges, 1618, gut war. Schwerte hatte um 1600 mindestens 2700 Einwohner, und das Bürgertum war sich damals seiner Bedeutung bewußt. Aber der 30jähiige Krieg hat Schwerte stark zurückgeworfen. Was der Krieg verschonte, holte die Pest. 1636 können wir mit 500 Einwohnern rechnen. Bis 1719 waren es wieder ganze 799 geworden. Aber wie arm war Schwerte! Mehrere große Feuersbrünste legten es in Schutt und Asche. Was an Geld und Gut erworben war, fraßen die Einquartierungen der französischen Truppen auf, die den zu Brandenburg gehörenden Landesteil durchzogen. In diesen Zeiten wird für die Schule nicht viel übrig geblieben sein. Wir können sogar damit rechnen, daß sie ihren Betrieb zeitweise ganz einstel-len mußte.
Einen Einblick in das Leben der Schule gewähren uns die sogenannten Vokationen, die Berufsscheine der 3. Prediger, die für die Rektorstelle vorgesehen waren. Von diesen Berufsscheinen lie-gen aus dem 17. und 18. Jahrhundert mehrere vor. Der älteste stammt von 1687. Da wurde als Nachfolger des im September 1685 verstorbenen Rektors Johann Wilhelm Schild aus Soest am 19. 6. 1687 der Kandidat der Theologie Georg Kämper, auch aus Soest, das sich ja eines bekannten- Archigymnasiums rühmen konnte, zum 3. Prediger und Rektor ernannt.
Er sollte „die gedachte Lateinschule alhi in qualitaet eines Moderatoris oder Rectoris, darüber das plenum dominium, gleichwie dergleichen üblich und derselben vertraglich ist, wie auch nicht weni-ger auf die untere schuhle die inspection mittgeben, die zur lateinischen sprach denselben zu schi-ckende Jugend und Knaben, nach eines jeden Progressen und Gelegenheit in catechesi, Grammatica und anderen auff die schuhle und zu dieser information gehörigen lehren nach dem reglement der benachbahrten Gymnasien wie auch guten Sitten, lesen und schreiben, auch in poesi et graecis (wen ein und andere soweit werde kommen sein) mit Fleiß und ohne Versäumnis soweit anführen, daß dieselbe von hierab valide und wo nicht ad tertiam, dennoch wenigstens mit rühm ad quartam clas-sem auf den Gymnasien angebracht werden und bestehen können.“
Für diese Arbeit erhielt er freie Wohnung, freies Betreiben seines etwa zu haltenden Viehs auf ge-meiner Stadtweide, exemption von allen bürgerlichen Lasten (wie die übrigen Geistlichen) und au-ßer dem Schulgeld 60 Rthlr. und ein neues Kleid im Werte von 20 Rthlrn.
In dem Berufsschreiben des Joh. Jakob Glaser aus dem Jahre 1701 ist zu lesen, daß der Unterricht sowohl der lateinischen wie der teutschen Schule im Sommer von 7 bis 10 Uhr, 12 bis 14 Uhr dauer-te, worauf die Schüler um 13 Uhr wieder zur Schule kommen und bis zum Abendgebet informiert werden sollten. Im Wintersemester sollte von 8 bis 10 Uhr, 12 bis 15 Uhr „treufleißige information“ gehalten werden. Der Rektor sollte der Jugend mit erbaulichem Leben und Wandel vorleuchten und sich der Schuldisziplin mit gebührender Bescheidenheit bedienen. In der Kirche sollte der Rektor seinen Platz nächst den Herren Predigern haben, um dieihm anvertraute Jugend auch hier in Zucht und Ordnung zu halten. Montags und donnerstags wurden, wie hergebracht, Spieltage veranstaltet, jedoch war der Jugend verboten, „nach geendigter zur vakantz verstatteten Zeit sich weiter müßig oder mutwillig finden zu lassn“. Ostern und Michaelis sollte ein examen publicum abgehalten wer-den, an das sich 14 Tage Ferien anschlössen. Außerordentliche gelegentliche Prüfungen waren dem, der Aufsicht über die Schule hatte, gestattet.
Neue Ziele verfolgt schon das Berufungsschreiben für Joh. Wilh. Wülffert von 1754. Da wird auch Unterricht in Rhetorik und Logik, in Poesie und Griechisch verlangt. Die Forderungen der neuen Zeit haben sich offenbar geltend gemacht. Dazu wird erwartet, „dass die Schüler von hier ab auf gymnasiis ad secundam, gar nach der Universität mit Ruhm angebracht und bestehen können.“ Der Rektor sollte morgens und nachmittags je drei Stunden auf dem „ordentlichen publiquen Schulhause praecise informieren.“ In den Berufungsschreiben für Karl Joh. Gottfried Wiethaus 1766, Joh. Leop. Wiethaus 1771, Andreä 1772, gelten dieselben Bestimmungen. Daß man bei der Wahl des Rektors große Vorsicht walten ließ, verrät die Anordnung, daß der Name des neugewählten 3. Predigers öffentlich bekanntgegeben und jeder, der gegen dessen Wissenschaft, Leben und Wandel etwas auszusetzen oder zu erinnern hätte, aufgefordert wurde, solches gehörigen Orts anzuzeigen. Ein gesunder Sinn zeigte sich in dem Bestreben, das Schulgeld niedrig zu halten (2 Thlr. Pro Jahr), „da-mit umso mehr Eltern Veranlassung nähmen, ihre Kind zur lateinischen Schule zu schicken.“
Eine Blütezeit kann man das Wirken des Rektors und späteren Hofrats Bährens nennen. Er unter-hielt von 1789 – 1790 ein Institut für auswärtige Schüler und vermehrte den Umfang der Fächer ganz erheblich. Latein, Französisch, Griechisch, Hebräisch, Zeichnen, Mathematik, Geschichte, Ge-ographie, Naturkunde und später noch Kaufmannswissenschaft fanden in seinem Lehrplan Auf-nahme. Er entließ die Schüler direkt zur Universität. (Die am 23. 12. 1788 angeordnete Abiturien-tenprüfung ist nach mannigfaltigem Widerstände erst 1812 allgemein allgemein eingeführt worden.) Er hielt alljährlich eine öffentliche Schlußprüfung ab, die mit zahlreichen Deklamationsübungen in der Kirche verbunden waren. Es ist angebracht, auf die Tätigkeit dieses außerordentlichen Schul-mannes näher einzugehen:
1790 erschien bei F. G. Baedeker, Dortmund, von ihm eine Art Programm der damaligen höheren Lehranstalt. Außer den Schulnachrichten findet sich dort 1790 eine ausführliche Abhandlung „Über den Geist unseres Zeitalters“, 1792 „Über die fortschreitende Ausbildung des Menschengeschlech-tes.“ Nach seinen Ausführungen sieht er den Zweck der Ausbildung darin, dem jungen Staatsbürger den für ihn möglichen Grad von Glückseligkeit zu verschaffen, d. h. sein Herz durch Tugend und Religion zu bilden, den Verstand mit Wissenschaften und Kenntnissen aufzuklären und dem Körper Stärke und die nötige Geschicklichkeit zu den Geschäften des Lebens zu geben, um auf diesem Wege dahin zu gelangen, sein Dasein mit Freude zu erfüllen und der Erdentage froh zu werden. Der Körper soll durch Bewegung, Übung in mechanischen Fertigkeiten, Mäßigkeit in Getränken und Nahrung, Reinlichkeit, Enthaltsamkeit, Ertragung des Frostes und der Hitze gekräftigt werden. Dem Lehrer gibt er folgende Winke: Wer mit glücklichem Erfolge die Jugend unterrichten will, der habe sie, soviel wie möglich, stets unter seinen Augen, der lese aus ihren Mienen, der übe durch Fra-gen die Kraft der Seele, der wisse sich zu seinen Zöglingen herabzulassen, seine Sprache zu reden, seine Vorstellungen anzunehmen und mit ihnen auf den beabsichtigten Gegenstand fortzugehen, der erwerbe sein Zutrauen und sei Vater der Kleinen. Vorschläge, die auch heute noch ihre volle Bedeu-tung haben. Auf die einzelnen Fächer angewandt, heißt es weiter: Es habe den ersten Rang.
Das Deutsche. Es ist nicht wie eine Fremdsprache zu behandeln: sondern man soll praktisch durch Aufsätze oder durch Zergliedern der Gedichte seine Gedanken schriftlich ausdrücken lernen.
In den Fremdsprachen soll genügende Sprechfertigkeit erreicht werden. Eine gute Warnung vor seelenloser Paukerei gibt er mit dem Satze: „Man lasse den Schüler jahrelang deklinieren, konjugie-ren, nennen ihm unverständliche Regeln, mache ihn glauben, diese oder jene Nation konstruiere so und anders, weil ,es die Regel der Grammatik so befehle, und er bekommt Ekel und Verdruß.“
Für den Unterricht in Religion rät er: „Man lese in dem Buche der Natur, welches der Menschen Vater vor aller Augen auftut, um uns seine Macht, Weisheit und Güte zu versinnlichen, und der lernbegierige Geist genießt die reinsten Freuden; da ist ihm die Entwicklung des Schmetterlings eine Quelle des Nachdenkens und das Infusionstierchen ein Beweis für das Dasein und die Größe Got-tes. In diesem Buche Natur allein sind die kräftigen Mittel wider ‚das menschliche Elend.“
Die Geschichte soll „einen Überblick über die Ökonomie Gottes im Menschengeschlecht, vernünf-tiges Raisonnement über die Menschen und Folgen der Begebenheiten geben“. Denkende Geschichtsbetrachtung!
Die Kosmologie soll das Nötigste aus Naturgeschichte und Naturlehre bringen. „Die Naturlehre benimmt das einfältige Erschrecken vor Donner, sie lehrt die Naturbegebenheiten als nützliche Wir-kungen einer großen Maschine kennen, sie beweist, daß Nordlichter, Kometen und Sonnenfinster-nisse kein Unheil bedeuten, daß im fliegenden Drachen der Teufel kein Geld bringt und im Irrlicht keine ungetauften Kinder brennen. Sie lehr häuslichen Wohlstand, Befruchtung der Äcker der Na-turprodukte und mit einem Worte den Zusammenhang der Werke Gottes.“
Die Geographie soll außer dem Üblichen „insbesondere die Quellen des Wohlstandes und der Ar-mut der Länder lehren. Dadurch wird das Gefühl für Menschenwohl und Menschenelend erhöht, der Verstand auf die Quellen aufmerksam gemacht und der Jugend Achtung für die Künste, Manu-fakturen und Gewerbe beigebracht.“
Im Programm von 1792 wird noch die Kaufmannswissenschaft hinzugenommen, denn „die Schwerter Schule sollte nicht bloß Latein- und Trivialschule sein, sondern vielmehr eine Schule, in welcher der künftige Bürger, Kaufmann, Gelehrte und das Frauenzimmer nützliche Kenntnisse an-sammeln könnte.“
In der eigentlichen städtischen Lateinschule wurde von 8 – 10 und von 2 – 4 Uhr in den obligatori-schen Fächern Religion, Latein, Griechisch, Deutsch, Geschichte, Geographie, Kosmologie gelehrt. Dazu kamen an Privatstunden noch täglich 6 Stunden: 7 – 8 Hebräisch, 10 – 11 Französisch, 11 – 12 Rechnen, 1 – 2 Zeichnen, Geometrie, Markscheidekunst, 4 – 6 war Mädchenschule.
Man wundert sich über die Schaffensfreude dieses Mannes und kann seinen Stoßseufzer wohl ver-stehen, wenn er sagt: „So musste ich die so nötigen Erholungsstunden dem Aufenthalte in meiner mir ans Herz gewachsenen Schule opfern.“ Hier ist eine Bemerkung angebracht, die Landgerichtsrat Maag in der Heimatbeilage der Schwerter Zeitung in seinem Aufsatz über Hofrat Dr. Bährens macht: „Die Stadt Schwerte kann dem Könige nur dankbar sein, daß er ihr einen solchen Pastor schickte. Es ist erstaunlich, daß ein geistig so hochstehender Mann sich dann sein ganzes Leben lang mit den geringen Anregungen einer kleinen Ackerstadt begnügte (1818 hatte Schwerte noch erst 1550 Einwohner); ebenso erstaunlich ist es, daß er seine umfangreiche Tätigkeit für Kirche und Schule sowie seine großen Verdienste um seine Mitbürger, seine reichen Kenntnisse und Fähigkeiten mit nur 120 Talern jährlich (gleich 30 Mark monatlich) bewerten ließ.
Nach der von Bährens eingeführten monatlichen Zensur bekamen die Schüler einen Platz im golde-nen, weißen oder schwarzen Buche. Die in den beiden ersten Büchern verzeichneten Schüler erhiel-ten nützliche Bücher als Prämien. Am Schlüsse jedes Semesters fand eine öffentliche Prüfung statt. Am Nachmittag hatte die Schwerter Bevölkerung Gelegenheit, dem großen Redeaktus in der Kirche beizuwohnen. In der Heimatbeilage der Schwerter Zeitung vom 5. Mai 1939 ist das Programm zu ersehen, nach dem „unter abwechselnder Musik“ die 26 Redner sich ihres Auftrages entledigten. Da spricht Joh. Franz Röber über Salomons schönste Tugendlehre, Daniel Röber über den Neid, Georg Röber beweist daß es besser sei, geliebt zu werden als gefürchtet, Wilh. Wucke behandelt die Ewig-keit, Daniel Wucke den Wert echter deutscher Ehrlichkeit und ihre Freuden, Friedrich Doert spricht über den Wert der Erholung nach Senekas ,,de tranquillitate animi“, cap. 15, Gottfried Hengsten-berg aus Ergste von der weisen Benutzung der Zeit, Friedrich Haver beschreibt den Charakter des Diogenes von Sinope, Johanna Haver unterredet sich mit einer Iserlohnerin über Sappho, Gisbert Haver empfiehlt den Wert der Sparsamkeit, Luise Wiegmann und Isabella Brauckhoff beantworten in einem Gespräch die Frage „Was heißt liebenswürdig?“ Selbst so zeitgemäße Themen wie die Französische Revolution (1792!) wurden behandelt. Welchen Ruf diese Anstalt gehabt haben muß, geht aus der Tatsache hervor, daß zwei der Redner aus Altena, einer aus Essen, einer aus. Hagen, einer aus Halver, zwei aus Iserlohn, drei aus Kierspe, einer aus Lüdenscheid, einer aus Werden, einer aus Werdohl, einer aus Wetter stammten. Obwohl sich die Einwohnerzahl Schwertes bis 1797 auf 1166 erhöht hatte, bestand dieses Institut nur von 1789 bis 1800, wie Bährens selbst sagt. Es ist schade, daß er uns nichts über die Gründe dieses frühen Endes mitteilt. Wer die Schwerter Verhält-nisse auf kulturellem Gebiet kennt, kommt zu allerhand trüben Vermutungen.
Die nächste Entwicklung der Schwerter höheren Stadtschule bietet kein erfreuliches Bild. Verge-genwärtige man sich die Zeit: Unruhe durch die Französische Revolution, Zusammenbruch Preußens 1806/07, Franzosenherrschaft, Befreiungskriege, Armut und Elend der Nachkriegsjahre, Dumpfheit und Enge der damaligen Bürgerlichkeit; man findet schon Gründe genug für dieses wenig erfreuli-che Bild. In der Franzosenzeit kam Schwerte zum. Großherzogtum Berg, Arrondissement Dort-mund, Kanton Horde. Bei der durch Napoleon am 17. 12. 1811 erfolgten Reorganisation des öf-fentlichen Unterrichts im Großherzogtum Berg scheint Schwerte nur eine sogenannte Primär- oder Elementarschule erhalten zu haben. Von einer Rektorat- oder Lateinschule ist keine Rede mehr.
Nach den Freiheitskriegen wurde 1821 beschlossen, daß sämtliche Schüler der Stadt in eine ge-meinschaftliche Schulanstalt von drei Klassen vereinigt werden sollten. Die Rektoratschule, die lu-therische und reformierte Elementarschule sollten eine verbundene Anstalt bilden. Die 1. Klasse, geleitet von einem wissenschaftlichen Rektor, sollte nur solche Schüler aufnehmen, die in den bei-den Elementarklassen die erforderliche Vorübung und Reife zur Versetzung erreicht hatten und nun eine höhere Bildung erhalten sollten. Über Ziel und Art des Unterrichts ist aus dieser Zeit nichts bekannt. D«i Plan ist nicht ausgeführt worden, weil sich in der größeren evangelischen Gemeinde lebhafter Widerspruch gegen die Verbindung der Rektorat- und Elementarschule erhob, Gegen den Beschluß besetzte 1829 die lutherische Gemeinde das Rektorat in der alten Weise. Rektor ist 1829 – 33 Pastor Schütte, 1835 – 48 Pastor Gräve, 1851 – 53 Pastor Wehberg, dieser der letzte Inhaber der vereinigten 3. Pfarr- und Rektorstelle. Die Schule war anfangs schwach besucht, hatte 1837/38 bei etwa 1900 Einwohnern nur 10 bis 14 Schüler, hob sich aber, als die Pfarrer Schütte und Niep-mann sich beteiligten und auswärtige Zöglinge unter gewissen Bedingungen aufnahmen. Die Schü-ler sollten eine Vorbildung erhalten, die zur Aufnahme in Tertia des Gymnasiums befähigte.

1842 waren es schon 52 Schüler, 54 im Jahre 1843, 50 zwei Jahre später. Der amtliche Bericht vom 27. 11. 1847 besagt: „Die hiesige Rektoratsschule erfreut sich eines guten Gedeihens. Es sind jetzt 70 Schüler vorhanden, davon 55 Auswärtige. Eltern, welche Kinder hier gehabt haben, sind ganz zu-frieden mit ihren Fortschritten, weshalb dieselben ihre jüngeren Kinder wieder herschicken.“ Das auffallende Verhältnis von 55 Auswärtigen zu 15 Einheimischen gibt zu denken und wirft kein gutes Licht auf den Bildungsdrang der Schwerter. 1849 wird denn auch die Klage ausgesprochen, daß die Bewohner das Bestehen dieses Instituts nicht fördern, und infolge der „Remonstration wegen unbedeutender Kostenverwendung für die Schule könne es leicht zur Auflösung dieses blühenden Instituts kommen.“

Am 14. 9. 1848 erteilte die Kgl. Regierung zu Arnsberg den Pfarrern Schütte und Niepmann sowie Lehrer Weigerber die Konzession zur Errichtung einer höheren Privaterzie-hungs- und Unterrichtsanstalt, die aber selbständig neben die Rektoratsschule trat. Durch Vertrag vom 24. 8. 1852 wurden beide wieder vereinigt. 1849 entstand Streit zwischen Magistrat und Pres-byterium der lutherischen Gemeinde hinsichtlich der Wiederbesetzung der vakanten 3. Pfarr- und Rektorstelle. Der Magistrat nahm das Recht in Anspruch, bei der Wahl des Rektors mitzuwirken, welches Recht ihm vom Presbyterium bestritten wurde. Der Prozeß dauerte von 1852 bis 1854 und wurde zugunsten der Stadtbehörde entschieden. Infolgedessen wurde zwischen Magistrat und Presbyterium der lutherischen Gemeinde ein Vertrag geschlossen, wodurch die 3. Pfarrstelle der hiesigen größeren evangelischen Gemeinde von der Rektorstelle gänzlich und für immer getrennt wurde. Am 18. 2. 1857 wurde der Vertrag vom Kultusminister genehmigt. Der letzte Inhaber der vereinigten 3. Pfarr- und Rektorstelle war der am 6. 2. 1853 verstorbene Pfarrer Wehberg gewesen. Damit hörte nun die seit 1554 bestehende, also 300 Jahre alte, enge Verbindung von Kirche und Schule auf. Ostern 1857 trat die von der Stadt errichtete höhere Stadtschule, im Volksmunde Rek-toratsschule genannt, ins Leben.

Die interimistische Leitung wurde durch Verfügung der Kgl. Re-gierung in Arnsberg vom 13. 3. 1857 dem Pfarramtskandidaten Noelle (Ergste) gegen jährliche Re-muneration von 450 Thlr. gegeben. Als Lehrer wirkte im Eröffnungsjahr ab 1. 5. Lehrer Hövelmann, der 43 Jahre treu gewirkt hat. Am 1. 10. kam dazu Dr. Theobald, der nach Noelles Abgang (1. 7. 1857) die Anstalt leitete bis 1865. Ihm folgte als Rektor Dr. Cohn, der seit 1862 an der Anstalt tätig gewesen war. Der Religionsunterricht lag in Händen von Pfarrer Schütte. Die Schülerzahl betrug im ersten Jahr 25 Einheimische, 11 Kirchspielangehörige, 9 Auswärtige gleich 45, das Schulgeld pro Semester 6, 9 bzw. 12 Thlr. Der Schuletat muß den Neid aller heutigen Stadtväter erregen, denn die Einnahme vom 1. 5. bis 31. 12. betrug 786 Thlr. 18 Sgr. (darunter an Schulgeld 714 Thlr.), die Aus-gaben 715 Thlr. 14 Sgr. 11 Pf., so daß ein Bestand von 71 Thlr. 3 Sgr. 1 Pf. blieb. Die Schule, an-fangs drei Klassen, entwickelte sich zunächst sehr erfreulich. Ein im Stadtarchiv vorhandener Revi-sionsbericht des Schulrats Buschmann vom 10. 2. 1860 äußert sich sehr anerkennend über Leistun-gen der Schule und über die Treue und Tüchtigkeit der Lehrer. In den folgenden Jahren hob sich die Zahl langsam aber stetig und erreichte 1875 und 1880 ihren Höchststand mit 81. Seit 1862 war die Schule in dem 1859 bis 1861 für sie erbauten Gebäude an der Ostenstraße (der späteren höheren Mädchenschule) untergebracht. Am 16. 7. 1860 wurde eine vierte Lehrerstelle genehmigt.
Einen schlimmen Wendepunkt für die Schule bedeutete der Tod des Pfarrers Niepmann am 24. 12. 1882. 55 Jahre lang hatte er als Seelsorger gewirkt in seiner reformierten Gemeinde und die Rekto-ratschule verlor in ihm nicht nur einen Lehrer, sondern auch einen einflußreichen Freund und Gön-ner. Seit seinem Heimgang sank die Schülerzahl beständig: 1882 = 65, 1883 = 45, 1884 = 27, 1885 = 33, 1888 = 25; und das bei einer Einwohnerzahl von fast 6000. Unter diesen Umständen legte der Leiter Dr. Cohn sein Amt nieder und verließ Schwerte. Voll Erwartung sah man in der Bürgerschaft der Wahl des neuen Rektors entgegen, umso mehr, da sich nicht weniger als 166 Bewerber gemeldet hatten; eine Zahl, die sich nur aus der damals geradezu trostlosen Aussicht auf eine Anstellung im höheren Schuldienst erklärt. Von den fünf Bewerbern, die in die engere Wahl kamen, wurde am 22. 11. 1886 Dr. Renz aus Hohenlimburg gewählt. Die auf den neuen Leiter gesetzten Hoffnungen wurden glänzend erfüllt. Unterstützt durch die damalige schnelle Entwicklung der Stadt infolge der Verlegung von Industrieunternehmungen blühte die Schule kräftig auf. 1887/88 hatte Dr. Renz mit 50 Schülern begonnen. 1893 waren es schon 107. Eine 5. Klasse wurde eingerichtet.

Am 5. 3. 1898 erfolgte der Beschluß der Stadtverordneten, aus der nichtberechtigten eine berechtigte Anstalt zu machen, und zwar ein Progymnasium mit wahlfreiem Englisch. Ostern 1900 wurde die Umwand-lung vorgenommen. Am 26. 4. 1900 fand die Eröffnungsfeier des neuen Progymnasiums statt. Es zählte 6 Klassen mit 120 Schülern. Ostern 1901 fand die erste Reifeprüfung statt, bei der alle fünf Schüler das Zeugnis der Reife für Obersekunda erhielten und damit das „Einjährige“. Fast 40 Jahre blieb die Schule in dem Gebäude an der Ostenstraße. Als der Platz zu eng wurde, mußten Räume im Alten Rathaus belegt werden. Da man mit weiterem Wachsen der Schülerzahl rechnen musste, ent-schloß man sich zu einem Neubau. Am 18. 2. 1902 wurde der Neubau am „Steinernen Kreuz“ ein-geweiht. Die Schülerzahl wuchs ununterbrochen und überschritt 1914/15 zum erstenmal 200, betrug 1924 schon 343. Von 1912 ab fand die Umwandlung in ein Realgymnasium statt, weil zu wenige Schüler am Griechischen Freude fanden. Unter dem Nachfolger von Dr. Renz, Studiendirektor Ru-dolf Loescher, erfolgte der Ausbau zur Vollanstalt und 1924 fand die erste Reifeprüfung statt, bei der sämtliche Schüler bestanden. Im neuen Schuljahr 1924/25 mußten zwei Sexten eingerichtet werden. Wieder wurde der Platz zu eng, zumal infolge der Arbeitslosigkeit die Schüler kaum in ei-nem praktischen Beruf unterkommen konnten.

Es wurde angebaut, wodurch die Schule zugleich zu einem längst notwendigen Zeichensaal kam, zu dem bisher die Aula hatte herhalten müssen. Jeder verwendbare Raum wurde in ein Klassenzimmer verwandelt. Die Unterrichtsräume für den natur-wissenschaftlichen Unterricht wurden eingerichtet, die noch rückständigen Sammlungen dafür auf einen den Anforderungen der Zeit entsprechenden Stand gebracht. Die Bücherei wuchs bei den reichlichen Mitteln und füllte bald zwei Zimmer bis zur Decke. Die Turnhalle erhielt statt des Ze-mentfußbodens einen Parkettbelag und eine zeitgemäße Ausrüstung an Geräten. Für jeden Lehrer, der in dieser Zeit des Aufschwungs, des Wachsens nach jeder Richtung, an der Schule tätig war, wird sie als die schönste Zeit seiner Tätigkeit in der Erinnerung bleiben. Diese Freude am Aufbauen kam der Stadt zugute, denn mancher von den Lehrern stellte seine Arbeit auch außerhalb der Schule in den Dienst der Stadt. So bekam Scherte seinen Madrigalchor, den jetzigen Städtischen Chor. Im „Reiche des Wassers“ entstanden zwei schöne Tennisplätze, die zum Tummelplatz der sportfreudi-gen Jugend wurden und im Winter eine herrliche Eisbahn abgaben. Die Bestrebung des Heimatver-eins fand bei manchem Lehrer tatkräftige Unterstützung. Die Schüler der oberen Klassen halfen mit bei der Sammlung der Flurnamen der Gemarkung Schwerte. Ein Primaner legte eine nach jeder Richtung hin vollständige Wetterkarte von Schwerte an.
Diese natürliche Entwicklung machte nach 1933 einer verkrampften Einengung Platz. Die Unter-richtsziele wurden immer mehr verschoben. Ständige Störungen machten einen gedeihlichen Unter-richt unmöglich. Reibungen zwischen Lehrern und Schülern als Vertreter der neuen Jugend trübten das sonst gute Verhältnis. Der Direktor, der seit 1920 den Geist der Anstalt in starkem Maße be-stimmt hatte, wurde ein Opfer eines neuen Beamtengesetzes. Der Krieg vollendete das Werk der Auflösung. Die oberen Klassen verschwanden immer mehr. In den Angriffen der feindlichen Flieger erstarb schließlich das Leben der Schule. Gebäude und Einrichtungen waren bis jetzt fast ganz er-halten geblieben; aber eine gedankenlose Anordnung von irgendeiner Stelle im Rathaus vernichtete, was im Laufe der Jahre und Jahrzehnte aufgebaut worden war: Ein langer Zug von Fremdarbeitern wurde am letzten Tage des Krieges im Gebäude einquartiert und nach dem Zusammenbruch gingen Schränke, Bänke, Türen, Bücherei, Karten in den Kochfeuern der Vertreter östlicher Kulturen zu Grunde. Die reichhaltigen Sammlungen wurden sinnlos zerstört oder verschleppt. Nach dem Abzug der Fremdarbeiter hielten Italiener ihren Einzug und verhinderten die Lehrer, zu retten, was noch zu retten war. Als sie endlich nach dem sonnigen Süden verschwanden, blieb uns buchstäblich nichts als die leeren Wände, bemalt mit den Auswüchsen südländischer Phantasie.
Leider konnte auch jetzt noch nicht an Aufbau gedacht werden. Auf Befehl der Militärregierung blieben die Schulen geschlossen. Suspendierung und schließlich Entlassung der Lehrer, soweit sie sich nicht passiv verhalten hatten, folgten. Anfang März 1946 endlich wurde der Unterricht in den Räumen einer Volksschule wieder eröffnet: bei der geringen Zahl der Lehrer und Zimmer vorläufig nur in den zwei unteren Klassen zweimal in der Woche. Die Hauptarbeit lag in den beiden Klassen des Förderkursus, in dem die von der Wehrmacht zurückkehrenden Schüler auf ihre Reifeprüfung vorbereitet werden sollten.
Wie vor Jahrhunderten mal das Dortmunder Archigymnasium in Schwerte Unterkunft gefunden hatte, so bot Schwerte den Dortmundern auch 1946 und 1947 Gastrecht, da es den Dortmunder Schulen noch schlimmer ging und sie ihre Pforten noch nicht wieder geöffnet hatten. Am 20. Juli 1946 fand die erste Reifeprüfung nach dem Kriege in den notdürftig wieder hergestellten Räumen des alten Heimes statt. Mittlerweile waren alle entnazifizierten Lehrer einer nach dem andern in ihr Amt zurückgekehrt. So konnte der Unterricht nach und nach verstärkt und in allen Klassen wieder voll unterrichtet werden. So wären wir glücklich wieder dort angelangt, wo wir vor vielen Jahren aufgehört hatten.
Universitäten und höhere Schulen sollten der Mittelpunkt des kulturellen Lebens einer Stadt sein. Dazu bedarf es einer größeren mithelfenden Gemeinschaft. Die Dortmunder Schulen haben ihre Abiturientenvereinigungen und fahren gut dabei. Es wäre schön, gerade in dieser Notzeit, wenn solch eine Gemeinschaft, die vor etwa 20 Jahren auch in Schwerte kurze Zeit bestanden hat, zum Segen der Schule und der Stadt wieder erstünde und eine bleibende Einrichtung würde.
Möge Einsicht und Tatkraft sich vereinigen, unserer Schule wieder die Stellung zu verschaffen, die sie im Kulturleben der Stadt einnehmen sollte.