Aber er liebt mich doch?!

Sie war mittlerweile bei ihrem dritten Bier angelangt. Sie hatte bewusst diese Bar gewählt, weil sie hier garantiert niemandem begegnen würde, den sie kannte. Hier musste sie nicht den Schein wahren und die glückliche Ehefrau spielen.

Wo er wohl gerade war? Bestimmt tat es ihm schon wieder leid, es war ja nicht seine Schuld. Sie hatte ihn wahrscheinlich durch irgendetwas verärgert….! Und auf der Arbeit lief es doch auch nicht gut für ihn. Sie bestellte einen doppelten Whiskey.

Es ist eben seine Art, mit Problemen umzugehen, dachte sie, und tastete verlegen nach ihrer Wange. Ob man es sah? Der Schmerz hatte schon nachgelassen und die blauen Flecken an den Armen ließen sich in dieser Jahreszeit gut unter langen Ärmeln verstecken ohne Aufsehen zu erregen. Der Alkohol machte sich langsam bemerkbar. Leichte Übelkeit überkam sie, und sie suchte die Toilette auf. Dort nahm sie die Sonnenbrille ab und besah ihr Gesicht mit dem Veilchen im Spiegel. Die fettigen Haare fielen ihr strähnig ins Gesicht.

Aber er war doch so ein guter Mann! Warum musste sie ihn auch immer schlecht machen? Immerhin liebte er sie und sie waren füreinander bestimmt. Das hatte er selbst gesagt, am Tag ihrer Hochzeit.

Sie spritzte sich ein wenig kaltes Wasser ins Gesicht und beschloss, ihm noch einmal zu verzeihen. Er wird sicher erkannt haben, dass es nicht richtig ist, was er tut. Sie ging zurück an die Bar, wo sie vom Barkeeper die Rechnung verlangte. Und als sie zur Tür blickte, sah sie ihn, wie erwartet, dort stehen. Er fand sie jedes Mal.

Sie zahlte und nahm langsam ihre Handtasche. Dann stand sie auf und ging mit zögerlichen Schritten in Richtung Tür, wo sie mit leicht zittrigen Händen ihren Mantel von der Garderobe nahm.

Er sah sie mit starrem Blick an und deutete mit einer Kopfbewegung hinaus in die dunkle, kalte Nacht.

Leonie Höving (2005)